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Al Andalus

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2008
2018
Mo
11:48
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Die guten Reisefreunde sind schon längst wieder zuhause. Dankbarkeit öffnet die Augen. Magie ist nicht planbar. Sie passiert. Nach fünf Stunden komme ich in Almeria an. Checkin in einer stockfinsteren klimatisierten Hochhauswohnung hinter drei verschlossenen Türen pro Laufmeter Flur. Es duftet nach Räucherstäbchen, und schon bei der zweiten Kontaktaufnahme findet der dichte Hausherr kaum seine Hosen hinter der Tür.

Ab an den ersten Strand, Costacabana, eine grausame Urbanizacion im Nichts vor dem Flughafen. Der Wind passt. Die einzige Familie am Strand hilft beim Starten. Drei junge Töchter kommentieren jeden noch so kleinen Sprung mit euphorischem Jubel. Er verstärkt sich, als ich jede am Kite einzeln durchs Wasser ziehe. Auch der Papa mit riesen Zahnlücke will zuletzt mit. Alle Töchter wollen ein Autogramm, mit Herzerl, „meiner besten Freundin“, auf einen Stein, und an der Küste zieht die Wärme abgelegener Philippinischer Inseln vorüber.

Eine mitreisende Bergbauingenieurin berichtet am nächsten Morgen von Geschichte. Die lebende Geisterstadt La Union liegt 20.000 Meilen hinter dem Strukturwandel. Der Bergbau hinterließ hunderte von aufgelassenen Mienen in der glühenden Sierra. Sie verfallen leise rostend in grell leuchtender Andalusischer Sonne. Ich schleiche mich rein, rauf, runter, rieche den Moder, den Kalk, die alte Kohle und das Eisen. Steige auf Berge, rutsche in Schächte und verfalle verfallenen Hütten.

Im lieblosen Zentrum weht eine Plastiktüte durch leere Straßen. Ein alter Köter blickt kurz auf – und definiert das Highlight des Tages. Auf der Bank daneben drei halb schlafende Opas, aneinander gelehnt. Darunter einige leere Büchsen billiges Spanisches Bier. Der einzige offene Döner Shop verkauft sein Hab und Gut für nichts in absoluter Unbewusstheit darüber, daß er keine Bude sondern ein Saal ist. Alles steht leer, und die Eigentümer sind schon lange weg.

Niemand gibt vor, was zu entdecken wäre. Kein Buch schreibt von zu besuchenden Attraktionen. Keiner spricht von Schönheit, und Bukowski humpelt schwer angeschlagen um jede Ecke. Es gibt absolut keinen einzigen Grund, diesen Ort zu lieben. Genau deswegen tue ich es. Es duftet nach Zuckerwatte, Rauch und verschüttetem Bier.

Noch vor Sonnenaufgang kündigt sich guter Wind an der größten Lagune Spaniens an. Ich fahre durch verlassene Siedlungen voll geschlossener Läden mit dem Namen „Esperanza“. Ein walkender Rentner schaut irritiert meinem Auto hinterher. Der Wind knabbert von unten bescheiden an meinen Minimalbedürfnissen. Die Urbanizacion shiningt im Licht der aufgehenden Sonne still vor sich hin. Sie hat ihr Jahressoll schon mitte September erfüllt. Es wird Winter. Ich scheitere beim Kauf einer Winterjacke im nächsten Decathlon.

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